„O schaurig ist’s, übers Moor zu gehn…!“


Exkursion der Klassen 11 a und b in das Goldenstedter Moor…

Wer kennt nicht die Ballade aus dem Jahre 1842 „Der Knabe im Moor“ von Anette Droste-Hülshoff, in dem das Moor als eine geheimnisvolle, schaurige Landschaft beschrieben wird, die auch den Menschen, die hindurch wollen, gefährlich werden kann……
So weit der Ausflug in den Deutschunterricht. In diesem Exkursionsbericht soll das Moor un-ter dem Aspekt „Nachhaltigkeit – Ökologie im Fokus“ aus dem Blickwinkel der Geographen begeleuchtet werden, was vielleicht nicht ganz so romantisch anmutet, aber dafür mit ein paar Überraschungen aufwartet, die uns alle angehen!


Das Jahr der „neu“ eingerichteten Einführungsphase der Klasse 11 steht im Geographieunter-richt unter dem komplexen Thema einer globalen Nachhaltigkeit in Raumnutzung und Raum-entwicklung, wobei vor allem die Gefahren einer anthropogenen Übernutzung unseres Planeten und die Möglichkeiten eines jeden, dieser durch eigenverantwortliches Handeln entgegenzutreten, den roten Faden bilden, der sich durch alle Unterrichtseinheiten zieht.
Auf der Basis von geographischem Grundwissen aus der Grund- und Mittelstufe sollen hierbei die vielfältigen Vernetzungen und Rückkopplungen des bis dato einzigartigen „Systems Erde“ aufgezeigt werden. Und da kommen die Ökosysteme der Moore ins Spiel, die quasi vor der gymnasialen Haustür liegen und damit ein „griffiges“ Beispiel für Schülerinnen und Schüler vorgeben, die Verzahnungen von Reliefsphäre, Lithosphäre, Pedosphäre, Hydrosphäre, Atmosphäre, Biosphäre und Anthroposphäre zu verstehen.
Diese Moore verdankt Niedersachsen, das mehr als die Hälfte aller Hoch- und Niedermoore des Bundesgebietes stellt, den Oberflächenformen der Eiszeiten und dem atlantisch beeinflussten Klima mit hoher Luftfeuchtigkeit und reichlichen Niederschlägen. In vielen Hohlformen der glazialen Serie, allen voran die kuppigen Grundmoränen, sammelte sich nach dem Rückzug des Eises vor etwa 12.000 Jahren Wasser, was dann nach und nach zur Verlandung und Bildung von Niedermooren führte. Und hier kommt nun ein botanischer Tausendsassa ins Spiel, das zunächst optisch recht unscheinbare Torfmoos „Sphagnum“. Dieser kleine Organismus hat aber die erstaunliche Fähigkeit, ohne Wurzeln auszukommen und seinen Wasser- und Mineralienhaushalt über das Niederschlagswasser zu deichseln. Ausgestattet mit mikroskopisch sehr eindrucksvollen Flaschenzellen am Stämmchen und Photosynthese bzw. Ionenaustausch betreibenden Zellen in den winzigen Blättchen der Pflanzenköpfchen wächst das Moos ohne Anschluss an das Grundwasser und bildete über den oben genannten Zeitraum bis zu 30 Meter hohe „Hochmoore“ mit uhrglasförmig gewölbtem Querschnitt auf den Niedermooren. Das bedeutet, dass ein solches Hochmoor aufgrund der besseren abiotischen Bedingungen im Zentrum schneller wächst als am Rand. Durch den Ionenaustausch aus dem Regenwasser mit Hilfe spezieller Polygalkturonsäuren produziert das Moos eine für sich günstige oligotrophe, d.h. mineralsalzarme, Umgebung im Hochmoor-zentrum, die sich nach außen hin eher meso- bis eutroph gestaltet und so das Mooswachstum in dieser Zone zunehmend hemmt. Gleichzeitig wird das Wasser durch diesen Austausch sauer wie Essig und hemmt dadurch, unterstützt durch Sauerstoffmangel, Zersetzungs-prozesse, sodass dieses Moos auf den eigenen abgestorbenen Pflanzenkörpern – die dann den Weißtorf bilden – in die Höhe wächst! Da zudem in der Fotosynthese klimarelevante Gase, allen voran das den Treibhauseffekt befeuernde Kohlenstoffdioxid, in die Biomasse des Torfkörpers eingebaut werden, sind Moore die weltweit wichtigsten „Stoffsenken“, die den jeweiligen Stoffkreisläufen Kohlenstoff, aber auch Stickstoff entziehen und im Torfkörper langfristig festlegen! Ein Hochmoor kann zwischen 200 und 300 kg Kohlenstoff pro Hektar und Jahr speichern und ist damit ein wesentlicher Gegenspieler des Klimawandels! Wen wundert es bei diesen Fakten, dass beim aktuellen Moorbrand einer Fläche von ca. 1000 Fußballfeldern im Emsland laut Pressemitteilung Experten ein Freisetzen von etwa 500.000 Tonnen CO¬¬2 schätzten.
Gleichzeitig kann ein Moospflänzchen etwa das 20-fache der eigenen Trockenmasse an Wasser speichern, sodass der Grundwasserspiegel in Moorgebieten um mehrere Meter angehoben wird, was umliegende Ökosysteme positiv beeinflusst.
Mit diesem Wissen ausgestattet, fuhren die beiden Klassen der Geographielehrer Peter Gahm und Jürgen Gundlach höchst erwartungsvoll ins Moor. Schon das Intro am „Haus im Moor“, der Goldenstedter Museums- und Forschungsstation, war ein absolutes Highlight. Hier enterten die Schülerinnen und Schüler den „Moorexpress“, eine schmalspurige Moorfeldbahn, die man am besten beschreibt als eine Mischung aus „Männerspielzeug“ und „Achterbahn“. Gezogen von einer 30 PS starken Diesellok, tuckerte sie zwei Stunden meist im Schritttempo über einen Rundparcours aus „fliegenden“ Schienen, d.h., diese sind nicht wie bei der Deutschen Bahn auf einem Schotterbett fest verlegt, sondern einfach auf dem welligen Mooruntergrund aufgelegt, um jederzeit, dem Torfabbau folgend, verschoben werden zu können. Nur den Profis auf der Lok und ihren Fahrkünsten war es zu verdanken, dass der Express kein einziges Mal entgleiste, was übrigens laut Lokführer häufiger vorkommt und kein großes Problem darstellt…
An interessanten Stellen stoppte der Zug und der Exkursionsleiter, Herr Diepmeyer, erläuterte sehr humorig per Headset die Charakteristika des Moores. So erfuhren die Exkursionsteil-nehmer weitere interessante Fakten über die Moorentstehung und dessen Biozönose in den Bereichen des unberührten Hochmoors, über Abläufe der Moorbesiedlung und seiner land-wirtschaftlichen Nutzung, u.a. durch Buchweizenanbau sowie über den bäuerlichen und industriellen Torfstich mit den korrelierenden negativen Folgen auf das Klima und den Grundwasserspiegel, bis hin zur Einbindung im Jahre 1984 in das Niedersächsische Moor-programm mit der Hochstufung zum Naturschutzgebiet unter gleichzeitiger Wiederver-nässung abgetorfter Flächen zur Rekultivierung des Moors.
Nach diesem eher rezeptiven Teil wurden die Schülerinnen und Schüler aktiv und erbohrten per Muskelkraft und unter Anfeuerung aller ein Moorprofil mit Hilfe eines Hohlbohrers. Ruckzuck waren die Bohrteams durch mehrere Jahrhunderte alte Torfschichten hindurch und man konnte auch in größerer Tiefe noch wenig zersetzte Samen, Früchte und Pflanzenreste unschwer erkennen. Besonders beeindruckend wie einmalig in seiner Ausführung war am Ende der Exkursion ein 15 Meter langer „Moortunnel“, in dem die unter dem lebenden Hochmoor liegenden Torfschichten in breitem Profil mit historischer Zeitskala bis weit vor Christi Geburt sehr anschaulich präsentiert werden, ergänzt durch allerlei Exponate von Tieren, Pflanzen, Fossilien und Funden aus dem Moor, unterlegt mit Geräuschen, wie der Schrei des Moorkauzes…. Hier konnten sich die wechselwirkenden Gefühle von Mensch und einer unnahbaren, schaurig schönen Natur, wie sie der Knabe im Moor erlebte, einstellen, induziert durch Bilder spektakulärer Moorleichen sowie Auszügen aus Gruselgeschichten, wie dem Sherlock Homes-Krimi „Der Hund von Baskerville“ und den Resten eines im Moor versunkenen Bombers aus dem Zweiten Weltkrieg . Dieser Meinung waren auch die beiden Praktikanten Sina Ehmann und Philip Minks sowie die Referendarin Miriam Hindirks. Die drei aufgrund ihres Studiums erfahrenen Moorexkursionisten äußerten einstimmig, dass diese Exkursion mit dem Moortunnelbesuch eine neue, sehr spannende und informative Dimension aufwies. Peter Gahm (Bilder: Gahm, Hindirks, Minks)